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Mal angenommen, es gibt keine Holokaust Zeitzeugen mehr. Vergessen wir dann den Holocaust? Oder halten wir Erinnerungen digital am Leben?

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Ich bin Masser Urheber allein und ich bin Sophie von der Tann und wir arbeiten beide im ARD-Hauptstadtstudio. Ich heute im Homeoffice und hier im Podcast spielen wir jede Woche ein Zukunftsszenario durch diese Woche eins, was leider immer näher rückt, denn immer mehr Menschen, die den Holocaust selbst erlebt haben, sterben. Am 27. Januar ist immer internationaler Holocaust-Gedenktag. Das ist der Tag, an dem 1945 Auschwitz-Birkenau befreit wurde. Und wenn unser Szenario Realität wird und es gibt irgendwann keine Zeitzeugen und Zeitzeugen mehr, dann könnte sich die Tagesschau an dem Tag in der Zukunft vielleicht mal so hier anhören.

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Mit einer Gedenkfeier haben heute Staats und Regierungschefs aus aller Welt an die Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz Birkenau erinnert. Das Lager wurde heute, vor 100 Jahren, von sowjetischen Truppen befreit. Virtuelle Zeitzeugen führten die Besucher über das Gelände. Laut Umfragen hat gerade unter Jugendlichen das Wissen um die Verbrechen des Nationalsozialismus in den vergangenen Jahren stark abgenommen.

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Wir haben uns heute ein Thema vorgenommen, das uns persönlich sehr am Herzen liegt. Die Erinnerung an den Holocaust.

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Ja, ich hab meinen Zivildienst zu dem Thema gemacht mit Aktion Sühnezeichen Friedensdienste. Das ist eine Organisation, die sich schon viele Jahrzehnte lang in der ganzen Welt für Versöhnung einsetzt. Und du, Sophie, du hast dich ja mit dem Thema auch journalistisch beschäftigt.

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Ja, mit dieser Frage. Was ist, wenn Holocaust-Überlebenden nicht mehr da sind? Da hab ich mich mal vor drei Jahren in Tel Aviv beschäftigt. Da war ich für einen Monat im ARD-Studio und war bei einem Holocaust. Hacke Von da haben lauter Teams 36 Stunden am Stück programmiert, Ideen entwickelt, wie man die Erinnerung digital am Leben halten kann. Zum Beispiel mit einem virtuellen Rundgang durchs Warschauer Ghetto oder einem Chatbot mit Anne Frank und für den Podcast.

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Jetzt hast du dir ja auch ein anderes digitales Projekt angeschaut und sogar ausprobiert.

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Ja, das sogenannte digitale Zeugnis. Das ist ein Projekt der Ludwig-Maximilians-Universität München und dem Leibniz Rechenzentrum.

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Hüttchen freigeben? Genau. Und wir gehen in die Anwendungen. Ich hoffe, dass das funktioniert.

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Das ist Anja Bullis Didaktik, Professorin in München und eine der Koordinatorin des Projekts. Und ich habe mit ihr per Video Coll gesprochen.

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Also was ich jetzt eigentlich will, ist, dass sie eben hier den Zeitzeugen sehen.

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Anja Balles hat ihren Bildschirm mit mir geteilt und ich hab dann einen alten Herrn gesehen, mit Anzug und Schlips. Und er hat in einem großen roten Ledersessel gesessen und hat sich geäußert. Und normalerweise hätte ich ihn mit 3D-Brille dreidimensional projiziert vor mir sitzen sehen, aber dafür bräuchte es den richtigen Beamer. Und wegen Coruña gab's die zweidimensionale Variante. Anja Balve hat die App dann gestartet und ich konnte dem Zeitzeugen Fragen stellen Wie heißen Sie?

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Genau? Aber ja. Geboren in Kaunas, in Litauen. Wie haben Sie den Holocaust überlebt?

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Überlebt habe ich durch Zufall. Man konnte ja nicht wählen. Ich war noch nicht da. Dann sagst du das denkst du nicht mehr.

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Erleben wir da nicht ständig der virtuelle Aber Nah erzählt mir, wie die Nazis ihn und seine Familie 1941 ins Ghetto gezwungen haben, ihn in mehrere Konzentrationslager deportiert haben. Er war Zwangsarbeiter im Außenlager von Dachau und hat einen Todesmarsch überlebt. Heute lebt er in Israel.

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Was denken Sie passiert, wenn alle Zeitzeugen gestorben sind?

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Ich habe nicht ganz verstanden, was Sie gesagt haben. Kennen Sie das? Später anders formulieren.

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Da haben wir eine Antwort. Gibt keine Antwort dazu nicht getraut. Das haben wir nicht dabei gehabt. Also das müssen Sie antworten. Was ist, wenn keine Zeitzeugen mehr da sind?

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Okay, sehr gut. Die Expertin sagt, dass wir das mal alles machen sollen. Haben wir uns etwas vorgenommen? Ich kann's mir ungefähr vorstellen, wie das Ganze funktioniert hat, was du da gemacht hast.

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Also da wurden mit aber na ja, ganz viele Antworten aufgenommen. In so einer Videos schon wahrscheinlich. Und wenn jetzt jemand fragt, so wie du? Dann erkennt eine Software bestimmte Begriffe. Und dann werden die Antworten abgespielt, die dann hoffentlich dazu passen. Ist das richtig?

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Ja, so ungefähr funktioniert das. Und das wurde in 3-D auch schon in Schulen und mit Studierenden getestet. Michael Kuhn zum Beispiel, 25 Jahre alt, Lehramtsstudent in München. Der hat an dem Projekt mitgearbeitet und er sagt Das kommt einem schon wie ein richtiger Dialog vor.

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Aber vielleicht eher wie in einem Videospiel, wenn man schon so eine Immersion hat und merkt, man rede gehalten mit jemandem. Aber man weiß halt trotzdem Es ist eine for aufgezeichnete Antwort.

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Und ich hab auch noch mit einer Tümmler gesprochen, die 17 Jahre alt und geht in die elfte Klasse, ins Gymnasium in Kempten. Und ich fand total spannend, was ihrer Meinung nach ein ich in Anführungsstrichen Zeitzeugen Gespräch von dem mit dem virtuellen aber da unterscheidet.

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Dadurch, dass es halt nicht real war, sag ich mal, da weiß ich ja nicht, was man fragt. Und dadurch glaube ich schon, dass man sich mehr getraut hat. Unter anderem wurde gefragt, wie er sich manchmal fühlt oder so. Ich denke, dass darüber reden vielleicht auch ziemlich schwer ist oder vielleicht sich mehr zurückhalten würde und weil es eher einfach nach einfachen Fakten fragen würde. Ist wirklich so. Gefühle.

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Ich fand das total interessant und das deckt sich auch mit den Beobachtungen von Anja Bales.

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Interessant war für uns, dass die Schülerinnen große Angst haben, den Zeitzeugen zu verärgern, dass ihre Fragen die Zeitzeugen zu nahe kommen, dass er sein Trauma nochmal durchleben muss und dass sie ihn auf gar keinen Fall verärgern wollen und deshalb sehr vorsichtig fragen. Bei den digitalen Zeugnissen haben wir den Eindruck, ist es anders. Dort fragen die Schüler viel direkter und unmittelbarer nach. Sie fragen oft zu Entscheidungsfragen. Hatten sie Alpträume? Sind sie gefoltert worden? Das heißt, sie fordern den Zeitzeugen auf, sich zu positionieren und auch von seinen Traumata zu erzählen.

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Und auf der anderen Seite sind die Jugendlichen aber sehr stark daran interessiert, Einschätzungen des Zeitzeugen auf ihr Leben, auf ihre Gegenwart zu erfahren. Also hat. Ein Anti-Semitismus Problem beispielsweise wird in den Schulen genug zu Holocaust und Holocaust Education getan.

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Ein total spannendes Beispiel. Also kann man sagen, dass das Digitale, also das Sprechen mit jemandem, dessen Antworten nur aufgezeichnet sind, dass das vielleicht sogar Vorteile hat gegenüber einem echten Gespräch mit einem Zeitzeugen.

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Naja, also die Einschätzung von dem digitalen Daor können sich halt nicht mehr ändern, nachdem er das Video aufgenommen hat. Der digitalen AOR kann z.B. nicht darauf eingehen, was beim Anschlag auf die Synagoge in Halle passiert ist 2019 und was da seiner Ansicht nach bedeutet für Antisemitismus in Deutschland, weil das eben schon 2018 aufgenommen wurde.

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Also das Video wird irgendwann veraltet sein, was da aufgenommen wurde? In manchen Punkten.

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Ja, genau das ist das Problem. Und natürlich gibt's technisch auch die Möglichkeit, die ganzen Antworten auseinanderzunehmen und wieder neu zusammenzusetzen, damit die Antworten dann quasi noch genauer auf die Fragen passen.

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Aber das sieht ja alles kritisch, weil das quasi eine Verfälschung wäre dessen, was der Zeitzeuge gesagt hat. Ja, deshalb machen die das auch in ihrem Projekt nicht.

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Also man gewinnt einiges, können wir vielleicht festhalten. Aber natürlich können digitale Zeugnisse die lebendigen Erzählungen von einem echten Menschen nicht ersetzen. Aber durch das Digitale gibt's quasi die Chance auf einen zeitlosen Zeitzeugen, könnte man vielleicht sagen. Das hat zumindest Aleida Assmann so formuliert im Gespräch mit mir. Sie ist eine echte Koryphäe auf dem Gebiet der Erinnerungs Forschung. Vor allem den Begriff kulturelles Gedächtnis hat sie mitgeprägt, zusammen mit ihrem Mann. Und die beiden haben ihn abgegrenzt von dem Begriff kommunikatives Gedächtnis.

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Kommunikatives Gedächtnis ist das Gedächtnis, was Menschen miteinander teilen, die sich begegnen und miteinander austauschen. Kulturelles Gedächtnis dagegen ist ein Gedächtnis ohne Verfallsdatum, was in die Zukunft projiziert ist, weil es nicht nur auf Medien beruht wie Schrift und Aufnahmetechnik, sondern auch auf Institutionen wie Museen, Bibliotheken, Archive. Also damit kann man die Spanne des Erinnerten in die Zukunft hinein verlängern. Und das ist eine Stabilisierung.

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Okay, also ohne Zeitzeugen gibt's auch kein kommunikatives Gedächtnis mehr an den Holocaust. Ganz genau.

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Und jetzt ist natürlich die Frage Was verändert das? Das habe ich Sie gefragt.

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Es ist ja so, dass das kulturelle Gedächtnis ja darauf eingestellt ist, genau diese Schwelle zu über winden. Deswegen müssen wir uns erst einmal sagen Es endet jetzt nicht alles. Der Holocaust wird nicht Geschichte, sondern er bleibt noch Erinnerung. Und dafür haben wir nicht nur noch die authentischen Orte und die Bilder, die Geschichten, die Filme, die Theaterstücke, alles das, was ja schon seit den 90er Jahren intensiv gesammelt worden ist. Das heißt, wir müssen dieses Guthaben an Quellen, die ja nicht nur Quellen sind, sondern die man auch immer wieder in lebendige Erzählungen und Erfahrungen übersetzen kann, wo eben die Emotionen durchaus weiterhin drinsteckt.

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Das ist ja ein Guthaben, was wir haben und was uns auch in diese Zukunft tragen kann.

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Was aber wegfällt, ist das, was Aleida Assmann verkörperte Geschichte nennt, also der Mensch aus Fleisch und Blut, der Überlebende mit seiner ganzen Persönlichkeit, der dann auch zu Gedenkveranstaltungen geht, in Schulklassen seine Geschichte einbringt. Aber fällt dann ohne die Zeitzeugen nicht doch schnell der emotionale Bezug zum Thema Holocaust weg? Ja, genau das habe ich auch nochmal gefragt.

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Das ist genau der entscheidende Punkt, damit man sich überhaupt an etwas erinnert. Braucht es immer einen emotionalen Bezug? Und das waren genau diese Begegnungen. Und die Frage ist, ob man das jetzt an Gedenkstätten, die ja authentische Orte sind, ebenfalls erleben kann. Ich bin der Meinung Ja, das kann man, das wird man wieder anders aufbauen müssen. Aber es ist nicht so, dass diese Möglichkeit der Verlebendigung und der Erhaltung von Präsenz jetzt vollkommen abbricht.

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Da könnte ja auch wieder der Punkt digitales Erinnern reinkommen, oder? Also diese dreidimensionalen virtuellen Zeitzeugen zum Beispiel, das spricht einen ja auch emotional an. Im Idealfall.

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Aleida Assmann sieht das auf jeden Fall sehr positiv, findet da gibt's viel Potenzial, dass da zum Beispiel eben auch die Persönlichkeit von einem Zeitzeugen rüber kommen kann.

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Aber trotzdem verliert das ganze kollektive Erinnern nicht immer mehr an Kraft.

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Kommt drauf an, meint Aleida Assmann, dass es da an Kraft verliert. Das haben wir immer. Das ist auch nicht erst aktuell, wenn der letzte Zeitzeuge nicht mehr da ist. Es gibt ja immer das Unbehagen an dieser Erinnerungskultur und der Vorwurf, es handle sich um eine leere Ritualisierung. Das sind eigentlich Realitäten, mit denen wir es immer schon zu tun haben. Und die Frage ist einfach Wird diese Erinnerung von unten lebendig gehalten für mich also wird sie in den Städten und Kommunen praktiziert oder wird sie nur von oben reagierend verordnet?

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Und das wäre zu wenig. Das würde nämlich eine Art DDR Geschichte. Entsprechen, die ja ausschließlich von oben verordnet war. Und genau das ist ja mit dieser Holokaust Erinnerung eigentlich nicht der Fall, die ja von unten überhaupt erst aufgebaut wurde.

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Glauben Sie denn, dass Mythen über die Zeit des Zweiten Weltkriegs und auch Holocaust-Leugnern einen Aufschwung bekommen könnten, wenn es keine Überlebenden mehr gibt, die live erzählen können über ihre Geschichte?

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Ich sehe diese Problematik nicht, denn bisher haben sich ja auch die Holocaustleugner gar nicht geschert um die Überlebenden. Die haben einfach ihre Mythen in die Welt gesetzt. Also die warten nicht auf diesen Moment, um dann loszuschlagen. Die Leugnung des Holocausts gibt es immer schon. Das ist ein Problem, was natürlich mit Judenfeindlichkeit zu tun hat Antisemitismus. Aber ich sehe da keinen besonderen Auftrieb. Außer natürlich die Geschichtspolitik der AfD, die sich ja ganz erklärtermaßen dagegen wendet und von einer erinnerungspolitische Wende von 180 Grad phantasiert.

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Wenn wir darauf schauen, wo Zeitzeugen des Holocaust aktuell eine große Rolle spielen, dann ist das z.B. in Klassenzimmern und Bildungsstätten, wenn es diese Begegnungen irgendwann nicht mehr gibt mit Zeitzeugen, was bedeutet das für die Bildungsarbeit? Soviel, du hast dir das genauer angeschaut.

[00:12:45]

Ich habe darüber mit Meron Mendel gesprochen. Er kommt ursprünglich aus Israel und ist seit über zehn Jahren Direktor der Bildungsstätte Anne Frank in Frankfurt. Und er hat da einen ganz besonderen Ansatz für die Ausstellung ein sogenanntes Lern Labor.

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Okay, also stelle ich mir jetzt was interaktiver RIS vor als in so einem normalen Museum. Im normalen Museum hat man ja oft so historische Gegenstände Dokumente in der Vitrine. Das ist dort nicht so. Ja.

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z.B. Gibt's da Stationen wie den Bodys Scanner. Da siehst du dann deinen eigenen Körper 3D eingescannt und der Computer berechnet daraus angeblich irgendwas. Und auf einmal erscheint dann zum Beispiel ein Pfeil zu deinem Hals und das heißt, du hast einen langen Hals und daraufhin wirst du dann einer Gruppe zugeordnet, die mit dem langen Hals winken gern. Und dann ordnet der Computer dieser Gruppe wiederum eine Eigenschaft zu, die mit dem langen Hals singen gerne und sind alle NOZ alles total zufällig und sinnlose Zuordnungen, die Jugendliche aber zum Nachdenken bringen sollen.

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Wie ist das eigentlich, wenn man aufgrund seines Äußeren kategorisiert wird?

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Also es geht darum, die Mechanismen, die beitragen zu Diskriminierung, Ausgrenzung und so weiter, die aufzuzeigen, die ja letztlich auch hinter dem Holocaust standen.

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Ja, und dadurch will man eben auch die Jugendlichen besser erreichen, hat mir Meron Mendel erklärt.

[00:14:00]

Weil nicht alle finden Geschichte an sich so spannend, aber wenn sie die Verknüpfung zu ihr jetzige Welt, zu ihrer Lebenswelt auch finden, können sie auch dadurch auch Interesse für die Geschichte finden. Wenn ein Jugendlicher selbst in seinem Alltag Diskriminierungserfahrungen hat, weil seine Eltern aus andere Land kommen, weil er hat eine andere sexuelle Orientierung als die hetero normale Vorstellung oder aus viele andere Grunden und plotzlich kommt er im Moment vor sagt ja, gerade die Diskriminierung, die ich heute empfinde, die hat eine Geschichte und Menschen wurde in der Geschichte aufgrund ihre religiöse Zugehörigkeit aufgrund ihrer Herkunft diskriminiert, bis hin zu Ereignis wie der Holocaust.

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Dann kann sich auch Interesse entwickeln und wir versuchen deswegen so offen wie möglich zu sein und jedem seine eigene oder eher eigene Zugang zu der Geschichte finden zu lassen.

[00:15:00]

Das heißt, die Geschichte des Holocaust vermitteln, indem man Bezüge zur Lebenswelt der Jugendlichen heute aufzeigt.

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Wir vertreten die Meinung, dass es gerade wichtig, diese Vergleich zu machen, ohne die Singularität der Shoah in Frage zu stellen. Zu diesem Bezugspunkt gibt's auch andere Ereignisse aus der Geschichte und auch aus der Gegenwart, die ja eine Stellung dazu beziehen oder mit ihnen diesen Zusammenhang betrachtet werden können. Ich rede über Völkermord wie an die Armeniern oder in Ruanda bis hin zu Kriege und Unrecht geschehen auch in unserer Gegenwart. Damit sagt man nicht, dass die Ereignisse alle gleich sind, auch wenn sie stückweise vergleichbar sind.

[00:15:42]

Okay, das heißt aber auch in unserem Szenario. Mal angenommen, es gibt keine Holocaust Zeitzeugen mehr. Das ist für Meron Mendel gar nicht so ein großes Problem, weil er jetzt in seiner Bildungsstätte ohnehin auf einen ganz anderen Ansatz setzt.

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Na ja, klar, auch er findet Zeitzeugen Gespräche super wichtig. Aber er sagt eben auch Man darf keine falschen Erwartungen daran haben. Es ist jetzt nicht so, dass wir den Zugang zu in Anführungsstrichen absoluten Wahrheit verlieren würden, wenn es keine Zeitzeugen mehr gibt. Erinnerung ist ja durch vieles geprägt, immer auch subjektiv und die eigenen Einschätzungen und Erinnerungen können sich über die Zeit hinweg ändern. Und Zeitzeugen sind halt keine Historiker, also auch Zeitzeugen Gespräche.

[00:16:24]

Sie sind authentisch insofern, dass man mit eine reale Person spricht. Aber sie sind keine 1:1 Abbildung der Geschehnisse in der Zeit des Nationalsozialismus. Unsere Erinnerung ist trügerisch.

[00:16:38]

Wir tendieren Ereignisse aus der zeitliche Abstand anders darzustellen, als sie wirklich stattgefunden haben.

[00:16:46]

Er sieht übrigens auch kritisch, dass unter dem Begriff Zeitzeugen zu häufig nur die Holocaust-Überlebenden gefasst werden.

[00:16:53]

Dabei vergessen wir, dass die große Mehrheit der Zeitzeuge keine Opfer waren, sondern entweder Täter oder Mitläufer. Wir leben in einer Gesellschaft, wo die große Mehrheit die Nachfolger der Täterinnen oder der Mitläufer sind. Das ist eine Tatsache. Und aktuelle Studien, wie die Memos studiert, zeigen, dass so gut wie zwei Drittel der hier lebenden Deutschen der Meinung sind, dass ihre Vorfahren Opfer waren. Das ist eine Verzerrung der Geschichte. Wir mussten. Klar kommen, dass die Geschichte anders aussah, als wir sie gerne haben wollen.

[00:17:32]

Ja, das ist natürlich total richtig. Allerdings werden auch Täter und Mitläufer aus der Zeit bald nicht mehr da sein. Also auch die können wir dann nicht mehr befragen in unserem Szenario.

[00:17:42]

Ja, aber nochmal zurück zu den Holocaust Überlebenden. Dass wir uns darüber Gedanken machen, was ist, wenn sie bald nicht mehr da sind, zeigt ja zumindest auch, welche große Bedeutung sie in der Öffentlichkeit bekommen haben. In den letzten Jahrzehnten. Das war anfangs in Deutschland gar nicht so. Nach 1940, da wurde jahrzehntelang verdrängt.

[00:18:02]

Mir ist aufgefallen, dass gerade die Betonung auf die Bedeutung der Zeitzeuge in den letzten zehn Jahren unglaublich stärker wurde in der Zeit, das de facto so gut wie keine Zeitzeugen mehr gibt. Demgegenüber steht Jahrzehnte. Ich werde von der Zeit von 1945 bis in die späten 70er Jahre in der Folge Jahrhundert, vor die Zeitzeugen unter uns lebten und kaum jemand für ihre Geschichte interessiert war.

[00:18:31]

Sogar in Israel, wohin viele Überlebende ja ausgewandert sind, gab es unterschiedliche Phasen, hat mir Tim Assmann erklärt, dass ARD-Korrespondent in Israel im Prozess gegen den NS-Verbrecher Adolf Eichmann 1961 in Israel da sagten KZ-Überlebende als Zeugen aus und das Grauen, das sie schilderten. Das ging dann aus dem Gerichtssaal rund um die Welt. Ähnlich war es dann später auch im Demjanjuk Prozess in den 80ern. Den konnten die Israelis live im Fernsehen verfolgen. Bei der klassischen Gedenk Arbeit im Alltag.

[00:19:01]

Aber in Schulen zum Beispiel. Da spielten tatsächlich die Überlebenden lange keine so große Rolle, denn diese gedenk arbeit fand so eben auch gar nicht intensiv statt. Also nach der Staatsgründung, da wollten die verschiedenen Regierungen in Israel den Blick offenbar mehr auf den Aufbau des Landes nach vorne richten. Das Gedenken spielte nicht so sehr die Rolle. Offiziell an wichtigen Tagen natürlich schon, aber eben nicht über die Schilderungen der Zeitzeugen. Das hat sich mittlerweile geändert. Heute sind die noch lebenden Überlebenden wichtiger Teil der Gedenk Arbeit in Israel und spielen z.B. in den Schulen eine deutlich größere Rolle, vor allem rund um den nationalen Holocaust-Gedenktag.

[00:19:38]

Er ist immer im Frühjahr.

[00:19:45]

Eine entscheidende Frage ist ja Wenn Zeitzeugen sterben, wer erzählt dann die Geschichten weiter? Lehrerinnen und Lehrer? Klar, Menschen in Museen, in Gedenkstätten.

[00:19:56]

Aber eben nicht nur die in Moers, weiß Milgram oder Levitt in Ordinary Life Trikots.

[00:20:02]

Rachel, so Roddy, ist Enkelin einer Holocaust-Überlebenden. Die Geschichte ihrer Oma erzählt sie in einem, wie ich finde, großartigen Podcast Hermann-Josef Radi.

[00:20:13]

Wie schade, dass same sky we share the same sky.

[00:20:16]

Wir leben unter demselben Himmel. In dem Podcast zeichnet sie nach, wie ihre Oma als Jugendliche vor den Nazis durch Europa geflüchtet ist, von Prag nach Dänemark, nach Schweden. Aber sie erzählt auch sehr persönlich von sich, aus ihrer Welt, im Hier und Jetzt. Sie zieht zum Beispiel aus den USA nach Europa, versucht diejenigen zu finden, die ihrer Oma, ihrer Großmutter damals auf ihrer Flucht geholfen haben. Und ich habe sie gefragt, was aus ihrer Sicht das Besondere daran ist, an der Perspektive, die sie auf den Holocaust hat, als dritte Generation danach.

[00:20:50]

So war hier ein Running Orangerot. Anscheinend hat meine Großmutter ist aus der Tschechoslowakei geflohen und hat an vielen Orten in Europa versucht, Zuflucht zu finden.

[00:21:02]

Sie hatte nicht die Zeit, um dazusitzen und Bücher zu lesen oder nachzudenken über die Schnittstelle von Vergangenheit und Gegenwart und Erinnerung. Ich bin nicht im Überlebensmodus, wie meine Oma es war. Ich habe das Privileg, dass ich die Zeit und den Raum habe, um über größere Kontexte nachzudenken. Als dritte Generation kann ich das tun. Also finde ich, ich sollte es auch tun, sonst wäre ganz schön.

[00:21:28]

Sie erzählt in ihrem Podcast auch von Geflüchteten in Europa heute. Also sie zieht Verbindungen, keine Vergleiche, sondern Verbindungen. Sowie das Meron Mendel, dein Gesprächspartner vorhin ja auch gesagt hat, also Verbindungen zu Themen im Leben ihrer Großmutter.

[00:21:42]

Hat sie ihre Großmutter dennoch selbst zu ihrer Geschichte befragen können?

[00:21:46]

Ja, anfangs ja. Bis die Großmutter dann eben gestorben ist. Ragusa. Roddy bezieht sich im Podcast aber auch auf ein langes Interview von ihrer Großmutter, das die der Shoah Foundation von Steven Spielberg gegeben hat.

[00:21:59]

Die haben ja mittlerweile ein riesiges Archiv an Material oder?

[00:22:03]

Mehr Total Seit den 90ern haben die über 50000 Interviews mit Holocaust Zeitzeugen aufgenommen. Unglaublich viel Erinnerung, die da konserviert ist auch für die Zukunft. Und eben auch eins mit der Großmutter von Rachel Roddy. Auch der Podcast wurde übrigens für die Shoah Foundation produziert. Aber nochmal zu deiner Frage zurück Selber befragen konnte sie ihre Großmutter eben irgendwann nicht mehr. Nur diese Leerstellen, die dadurch entstanden sind, die haben sie auch angespornt, hat mir Rachel Solwodi erzählt, von Tory-Partei und Samon.

[00:22:36]

Es gibt Raum für Interpretationen. Wenn jemand nicht da ist, um eine Antwort zu geben. Ich habe viele Fragen an meine Großmutter. Ich stellte ihr ein Jahr lang eine ganze Reihe von Fragen, bevor sie gestorben ist. Aber es gab Fragen, von denen ich nicht wusste, dass ich sie hatte, bis ich anfing tiefer zu graben. z.B. Wie hat sie es geschafft so viel Zeug aus der Zeit von vor dem Krieg zu retten? Aber ich denke, die Antworten auf solche Fragen nicht zu kennen.

[00:23:04]

Das ist so eine Motivation. Und bei der Suche nach den Antworten habe ich diese Antworten vielleicht nicht bekommen. Aber ich habe viele andere bekommen.

[00:23:14]

In den Ghettos Ärztestreik Galavan war der Wanns.

[00:23:16]

Was sagt sie denn über die Zeit ohne Zeitzeugen? Hat sie davor Angst?

[00:23:21]

Na ja, es ist so, dass sie selber sehr viele Überlebende persönlich kennt. Dass sie auch ein enges Verhältnis zu vielen von denen hat. Das werden Freunde von ihr sein, die dann letztlich nicht mehr da sind.

[00:23:30]

Das ist natürlich traurig und schmerzlich für sie und für die gesamte Gesellschaft sieht sie da Gefahren, wenn Überlebende nicht mehr da sind? Also dass die Lehren des Holocaust diese Botschaft nie wieder darf, die dann in Vergessenheit geraten könnte, habe ich sie gefragt.

[00:23:45]

Und ihre Antwort war sehr deutlich.

[00:23:48]

Einen Tag mir, Jean-Marie, 5te Tony, Tony waren in Amerika. Sie sprechen mit mir am 15. Januar 2021 in Amerika. Wir haben gerade einen Putschversuch von weißen Rassisten erlebt. Das, was wir fürchten, ist schon da. Ich meine, Völkermorde haben weiter stattgefunden. Der Hass hat weiter zugenommen. Rhetorik gegen Einwanderer ist da. Islamophobie, Antisemitismus. Alles was existiert. Tun wir also nicht so, als hätten wir dieses magische Kraftfeld von Überlebenden, die den Hass stoppen.

[00:24:21]

Das ist auch nicht ihre Verantwortung. Die zweite Generation, die dritte Generation und nicht nur diejenigen, die von Überlebenden abstammen. Jeder hat die Verantwortung, diese Erinnerung zu nutzen, der Geschichte gegenüber verantwortlich zu handeln und für das einzustehen, was richtig ist. Und eine kurze History and Standup Pro.

[00:24:46]

Jetzt haben wir viel drüber gesprochen, was das bedeuten könnte, wenn es keine Holokaust Zeitzeugen mehr gibt. Wie sich unsere Erinnerungskultur ändern könnte, welche Möglichkeiten es gibt, die Erinnerung am Leben zu halten. Lass uns doch mal zusammenfassen in einem extrem Szenario könnte es vielleicht das ja bedeuten.

[00:25:05]

Ohne die Zeitzeugen, die in Klassenzimmern oder Gedenkstätten von ihren Erlebnissen berichten, fehlt der emotionale Bezug für viele. Nachfolgende Generationen verlieren das Interesse an der Geschichte und damit verblasst auch die Erinnerung an die Nazi Gräueltaten. Die Art, wie digitale Zeitzeugen Gespräche aufgenommen wurden, ist irgendwann veraltet. Auf aktuelle Entwicklungen können die virtuellen Zeitzeugen ohnehin nicht mehr eingehen. Und so verlieren viele Menschen den Bezug zur Geschichte des Holocaust. Es könnte aber auch so kommen. Der technologische Fortschritt ermöglicht viele kreative, oft digitale Projekte, um die Erinnerung am Leben zu halten.

[00:25:44]

Ist eine Technologie veraltet. Entwickelt sich eine neue. Und die Zeitzeugen haben ja unglaublich viel Material über ihr Leben hinterlassen, das immer neu aufgearbeitet werden kann. Außerdem gibt's noch Bücher, Filme, Theaterstücke und so weiter. Durch Virtual Reality können nachfolgende Generationen Geschichte viel unmittelbarer nachempfinden. Außerdem gibt es immer wieder Bezugspunkte zur aktuellen Lebenswelt Diskriminierung, Flucht, Vertreibung. Das alles gehört leider noch nicht der Vergangenheit an. Jetzt, wo es keine Zeitzeugen mehr gibt, sehen es viele als gesamtgesellschaftliche Verantwortung.

[00:26:18]

Die Erinnerung an den Holocaust wachzuhalten und gegen Rassismus und Antisemitismus einzutreten, wie es am Ende wirklich kommt, das wissen wir natürlich nicht.

[00:26:26]

Das sind extrem Szenarien gewesen, die wir jetzt mal aufgezeigt haben am Ende. Aber wir können ganz klar sagen Wir hoffen natürlich, dass die Erinnerung am Leben bleibt, auch ohne Zeitzeugen.

[00:26:36]

Und das haben eigentlich auch alle Expertinnen und Experten zu uns gesagt, dass sie sich da grundsätzlich keine großen Sorgen machen, dass die Erinnerung ohne Zeitzeugen verloren gehen würde. Wir hoffen auf jeden Fall, wir konnten euch mit dieser Folge von mal angenommenen paar Denkanstöße geben. Vielen Dank fürs Zuhören, Feedback und Ideen. Wie immer gerne an. Mal angenommen. Tagesschau.de: Eine neue Folge von mal angenommen gibt's kommende Woche. Bis dahin macht's gut. TS, ts.