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Mal angenommen, es gibt keine Gefängnisse mehr in Deutschland. Wie sieht dann Bestrafung aus und was bedeutet das für Opfer, Täter und Gesellschaft?

[00:00:15]

Mein Name ist Birthe sei nächsten und ich bin Justus Calis und wir arbeiten im ARD-Hauptstadtstudio in Berlin.

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Schön, dass ihr dabei seid. Bei einer neuen Folge von mal angenommen dem Zukunfts Podcast der Tagesschau, indem wir ja immer eine Idee in die Zukunft denken.

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Diesmal schauen wir uns an, was es bedeuten würde, wenn es keine Gefängnisse mehr gäbe. Wie würden dann Strafen in der Zukunft aussehen? Und würden wir uns dann alle eher sicherer oder unsicher fühlen?

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Mal angenommen, es gäbe keine Justizvollzugsanstalten mehr und dann könnte man in Zukunft vielleicht solche Nachrichten in der Tagesschau hören.

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Seit es keine Gefängnisse mehr in Deutschland gibt, ist die Zahl der Täter, die nach einer Verurteilung rückfällig werden, erneut gesunken. Experten begründen das mit besseren Resozialisierung Programmen. Opferverbände beklagen, dass die Anliegen der Betroffenen bei der Urteilsfindung immer noch zu wenig berücksichtigt werden. Deshalb fordern sie eine grundlegende Reform der Strafjustiz.

[00:01:12]

Also eine Welt ohne Gefängnisse. Für mich ist das wirklich eine Herausforderung, mir das vorzustellen, wie das funktionieren kann. Weil wer sich nicht an die Regeln hält, der muss doch bestraft werden.

[00:01:22]

Klar, wir kennen ja auch nichts anderes. Aber in unserem Gedankenexperiment gehen wir jetzt mal radikal davon aus, dass es keine Gefängnisse mehr gibt.

[00:01:29]

Und ich habe bei der Recherche einiges gelernt. Auch das ist schon ein Land gibt, was schon so ein bisschen auf dem Weg in diese Zukunft ist, wo zumindest Gefängnis das schon anders aussehen, nämlich Norwegen.

[00:01:40]

Da gucken wir noch hin. Aber vorher stellen wir die Frage Was bringt das überhaupt, Leute einzusperren?

[00:01:45]

Ja, dass du mit einem gesprochen, der eine Antwort auf diese Frage haben muss. Denn der war viele Jahre Gefängnisdirektor.

[00:01:52]

Genau, Thomas Galli. Der war 15 Jahre in Justizvollzugsanstalten in mehreren Positionen tätig, zuletzt als Gefängnisdirektor und da verantwortlich für 400 Inhaftierte. Und dann hat er ein Interview gegeben, dass sein Leben ziemlich auf den Kopf gestellt hat.

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Ja, das war ein Fernsehinterview. Also vor meiner Anstalt, die ich damals geleitet hatte. Da hat mich die Reporterin gefragt Wenn es nach mir ginge, was würde ich machen mit diesen knapp 400 Inhaftierten dieser Anstalt?

[00:02:18]

Und dann hab ich ihr gesagt, ich würde sie tatsächlich alle entlassen, alle entlassen. Wenn du das als Gefängnisdirektor sagst, dann bist du deinen Job los, oder? Ja, er war über seine Aussage erst einmal erschrocken, hat er mir erzählt. Und da kam natürlich der Frust raus, wie mit Häftlingen in Deutschland umgegangen wird und dass es seiner Meinung nach so nicht funktioniert. Und deswegen hat er den Job als Gefängnisdirektor an den Nagel gehängt und will seitdem Gefängnisse abschaffen.

[00:02:43]

Ja, nicht komplett, aber für einen Großteil der üblichen Gefangenen schon die allergrößte Mehrheit von Strafgefangenen.

[00:02:49]

Die haben keine wirklich schlimmen Delikte begangen und das sind sehr, sehr viele Menschen in Haft wegen kleinst Delikten auch für Assads Freiheitsstrafen z.B. Leute, die schwarz gefahren sind und dann zu einer Geldstrafe verurteilt worden sind, die sie nicht bezahlen können und dann stattdessen in Haft müssen. Also das merke ich auch immer wieder, dass das vielen Menschen nicht bewusst ist. Einfach um mal eine Hausnummer zu nennen 50 000 Menschen etwa im Jahr werden zur Verbüßung von Asads Freiheitsstrafe in Haft genommen.

[00:03:19]

Und da gibt es viele Bagatelldelikte. Man kann sagen bei Diebstahl und Sachbeschädigung. Und diesen Dingen könnte man sagen Erst ab einer gewissen Schadenshöhe ist es eine Straftat. Vorher wird es z.B. als Ordnungswidrigkeit behandelt. Wenn man das macht, spart man unglaublich viel Ressourcen, die man in Prävention stecken könnte. Und man kann sich wirklich im Bereich von Strafen und Strafvollzug konzentrieren auf die schlimmere Kriminalität.

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Wie kann man in Zukunft, wenn es keine Gefängnisse mehr gibt, die Gesellschaft vor besonders gefährlichen Gewaltverbrechen schützen?

[00:03:53]

Also ich denke schon, dass wir noch einen Freiheitsentzug brauchen mit Gefängnis. Da meine ich eben ja die Anstalten, die es derzeit gibt, wohl ein paar hundert Leute oder in großen Anstalten auch tausend und mehr auf engstem Raum sozusagen zusammen eingesperrt sind und einer bürokratischen Verwaltungs Maschinerie dort unterworfen sind. Das hat keinen Sinn. Aber es gibt natürlich einige wenige Straftäter, die ich auch kennengelernt habe im Rahmen meiner Tätigkeit, wo ich schon sag die darf man nicht mehr in Freiheit lassen, so sadistische Sexual Mörder oder solche Menschen.

[00:04:30]

Also das heißt wir brauchen weiterhin schon einen Freiheitsentzug, aber nur für wirklich sehr wenige Menschen und diesen Freiheitsentzug. Da würde ich ebenso eher Dorf artige Einrichtungen vorschlagen, die also nach außen abgesichert sind und natürlich auch unter staatlicher Verwaltung sind, wo die Betroffenen tatsächlich auch bis ans Lebensende dort untergebracht werden können, wo sie aber innerhalb dieses Bereichs ein einigermaßen selbstbestimmtes Leben führen können.

[00:04:59]

Wie sie denn ihrer Meinung nach die Strafe der Zukunft aus?

[00:05:02]

Ich würde dafür plädieren, eben zu sagen, das Gericht soll nur noch die Höhe des Unrechts feststellen und natürlich die Tatbestände, die verwirklicht worden sind. Dann würde sich ein ganz breiter Rahmen von rechtlichen Möglichkeiten eröffnen. Je nach Höhe des Unrechts. Und diesen Rahmen sollte nicht mehr das Strafgericht oder die Juristen auch ausfüllen, sondern das sollten ein Gremium in Kraft treten, in dem Fachleute aus verschiedenen Disziplinen vertreten sind, die das auch viel besser beurteilen können, was jetzt in diesem konkreten Einzelfall sinnvoll ist.

[00:05:36]

Also Sozialpädagogen, Psychologen usw.. Und in diesem Gremium sollte aber auch das Opfer vertreten sein, sollte ganz deutliches Mitspracherecht haben und auch der Täter sollte vertreten sein. Und dann erarbeitet man eben dort ein Vorgehen und schaut Was ist dem Opfer besonders wichtig? Wie kann Schadens Wiedergutmachung geleistet werden? Was kann der Täter anbieten? Wie sollten wir mit diesem konkreten Täter umgehen, damit er zukünftig keine Straftaten mehr begeht? Alle diese Dinge und dieses Gremium soll eben nicht einmal entscheiden, wie ein Gericht zu einem bestimmten Tag, sondern das würde für die gesamte.

[00:06:12]

Des Prozesses zuständig bleiben. Ich finde, das klingt super spannend, aber auch sehr aufwendig. Als bräuchte es dafür eine Menge Personal. Alleine dieses Gremium, von dem er spricht, was die Strafe dann festlegen soll, das soll sie ja nicht nur einmal treffen. Und wenn ich mir angucke, wie überlastet die Gerichte jetzt schon sind?

[00:06:29]

Klar. Aber in unserem Gedankenexperiment gehen wir davon aus, dass nur noch sehr wenige Menschen in einem Gefängnis untergebracht sind. Und dadurch spart der Staat natürlich auch viel Geld. Und deswegen wäre es auch denkbar, dass wir uns das leisten können. Wieviel gibt der Staat denn zurzeit aus für Gefängnisse? Nur mal so drei Zahlen dazu Im Durchschnitt kostet ein Gefangener pro Tag 130 Euro.

[00:06:49]

Wenn wir das jetzt auf Sie ja hochrechnen, sind das fast 50 000 Euro für jeden Gefangenen.

[00:06:54]

Und laut einer Statistik aus dem Früher saßen rund 62000 700 Strafgefangene in deutschen Gefängnissen. Und wenn man das alles zusammenrechnet, dann kommen wir schon auf eine ziemlich große Summe, nämlich knapp drei Milliarden Euro. Und das alles, um Menschen einzusperren. Da ist die Frage Was bringt das eigentlich? Ja, dann lass uns doch mal gucken, was das bringt. Vor allem für die Opfer. Birte Du hast dich ja mit einer Frau verabredet, die Opfern von Straftaten hilft.

[00:07:19]

Wie wichtig ist das Opfern eigentlich, dass der Täter im Gefängnis sitzt?

[00:07:23]

Das ist unterschiedlich. Das hat mir Daniela Hirth erzählt. Sie ist Trauma Pädagogin. Und sie sagt Die Bedeutung, die Strafe, die Gefängnisstrafe für die Opfer hat, die verändert sich mit der Zeit. Und zwar geht es vielen Menschen, die Opfer einer Straftat geworden sind, nach einer gewissen Weile, nach der Tat. Das kann man auch in Studien nachlesen. Gar nicht mehr so sehr um die Bestrafung derjenigen, die eine Straftat ausgeübt haben, sondern es geht vielmehr darum, um eine Wiedergutmachung.

[00:07:52]

Es geht um einen Verstehenwollen der Menschen, die Opfer einer Straftat geworden sind. Bin ich gezielt ausgesucht worden? Hast du überhaupt jemals darüber nachgedacht oder sie, was sie mir und was sie den Angehörigen antun? Das sind Fragen, die Menschen, die Opfer einer Straftat geworden sind, gerne stellen wollen, wo sie Antworten haben wollen. Sie möchten auch ihre Tat folgen, erzählen, was sie erlitten haben durch diese Tat.

[00:08:19]

Und deshalb bringt sie Opfer und Täter miteinander ins Gespräch. Das ist eine Idee, die kommt aus Amerika. Und Daniela Hirth hat sie mit ihrem Team in der JVA in Oldenburg ausprobiert.

[00:08:30]

Das stelle ich mir aber schwierig vor. Trifft man da dann im schlimmsten Fall den Mörder seiner Frau oder seiner Kinder?

[00:08:35]

Nein, eben nicht. Man trifft nicht den Mörder, sondern einen Mörder. Und da hat mich besonders eine Geschichte beeindruckt. Einer Mutter. Ihre Tochter wurde ermordet, erstochen auf offener Straße. Und der Täter wurde nie gefasst. Dem hätte sie aber auch gar nicht gegenübertreten können, sagt sie. Aber bei dem Projekt hat sie jemanden kennengelernt, der auch jemanden erstochen hat. Puh.

[00:08:58]

Ja, das ist auch nicht für alle Opfer, was? Und es kommt auf den Zeitpunkt an. Direkt nach dem Verbrechen kann das nicht funktionieren, sagt die Trauma Pädagogin. Und irgendwann ist auch der Zeitpunkt, da wollen Opfer einfach mit der Tat abschließen. Aber es gibt da so ein Zeitfenster, da kann das den Opfern helfen, wie z.B. der Mutter, über die ich gerade gesprochen habe, deren Tochter erstochen wurde. Die hat aufgeschrieben, was diese Begegnung mit dem Täter mit ihr gemacht hat.

[00:09:23]

Und Daniela Hört's hat mir den Text der Mutter vorgelesen. Sie schreibt Dieser Prozess hat uns alle verändert und war auf vielen Ebenen sehr gut für mich. In dieser Zeit habe ich auch gelernt und erfahren dürfen, dass mein innerer Schmerz überhaupt nichts mit der Person des Mörders meiner Tochter zu tun hat. Ich hatte dort im Hochsicherheitsgefängnis die Gelegenheit, mal alles vorzutragen, was ich im Zusammenhang mit dem Mord an meiner Tochter erlitten habe und bis heute erleiden muss, dass alles mal von innen nach außen zu bringen, in den Raum zu stellen, es an der richtigen Adresse loswerden zu können.

[00:09:56]

Bei denen Personen, die es angeht. Das war echt heilsam. Das konnte ich richtig spüren, auch wenn es mich viel Kraft und Mut gekostet hat. Schließlich hat mich dieser Prozess dahin geführt, dass ich alle meine Wunden und Verletzungen über 70 Punkte auf eine Schriftrolle bringen konnte. Der Schuldschein meines tiefen Leids. Diesen Schuldschein habe ich dann dort im Hochsicherheitsgefängnis gelassen. Es war gar nicht so leicht, wie ich gedacht hatte. Ich hatte in diesem Moment wirklich das Gefühl, jetzt auch noch das Letzte zu verlieren, was mir von meiner Tochter geblieben war.

[00:10:26]

Ja, die Gefühlswelt hat ein Eigenleben. Das durfte ich da sehr deutlich spüren. Aber jetzt ist es vollbracht. Beeindruckend. Ja. Und ich glaube, da braucht es gar nicht viel mehr Worte. Es gibt natürlich auch noch andere Originalzitate der Menschen, die an diesem Projekt teilgenommen haben, auch die Opfer einer Straftat geworden sind, die wirklich berichten, dass gerade diese Begegnung mit den Inhaftierten, wo sie ihre Fragen loswerden konnten, z.B. sagen Sie mal, können sie überhaupt noch schlafen?

[00:10:55]

Oder haben sie die Menschen gezielt ausgewählt, die sie ausgeraubt haben, die sie schwer verletzt haben? Oder war das eine Zufalls Entscheidung oder was ging in Ihnen vor, als Sie diesen Menschen umgebracht haben oder behandlungsbedürftig verletzt haben? Das waren die Fragen, die gestellt wurden, und sie haben Antworten darauf erhalten. Sie konnten eine Transferleistung vollbringen zu ihrem eigenen Erleben und konnten vielleicht auch Spekulationen oder Geschichten, die sie im Kopf hatten, so hin rücken, dass sie sie besser annehmen konnten und besser verarbeiten konnten.

[00:11:32]

Ich weiß nicht, wie es dir ging, aber ich habe da wirklich mal durchatmen müssen.

[00:11:36]

Mir schnürt einem ein bisschen tatsächlich den Hals zu. Also vor allem besteht das Opfer ja da im Mittelpunkt. Was macht das auch was mit den Tätern?

[00:11:44]

Daniela Hirt glaubt Ja, das kann auch den Tätern viel bringen auf ihrem Weg zurück in die Gesellschaft, weil sie z.B. Empathie besser lernen, obwohl sie vorher schon etliche Einzel und Gruppengespräche auch in einer JVA hatten. Das war nochmal eine ganz andere Perspektive. Und ich zitiere einen Inhaftierten, der gesagt hat Da hab ich mir vorher noch nie drüber Gedanken gemacht über die Angehörigen von dem Mann, dem ich das Leben genommen habe.

[00:12:13]

Übrigens nicht nur Täter und Opfer kommen da miteinander ins Gespräch. Bei den Sitzungen, sondern da sind auch Menschen dabei. Du könntest das sein. Ich könnte das sein, die gar nichts mit all dem zu tun haben, die sozusagen stellvertretend für die Gesellschaft da sind. Und auch mit denen macht das was, sagt Daniela Hirth. Diese vehemente Forderung nach Sanktionen und das müsste doch noch viel mehr. Und den Inhaftierten geht's viel zu gut hier und so weiter und so fort.

[00:12:38]

Das hat sich verändert. Hin zu. Ich verstehe dich. Ich akzeptiere und toleriere und respektiere überhaupt nicht das, was du getan hast. Aber ich verstehe, wie es zu der Tat gekommen ist. Und ich sehe dich als Menschen. Und das verändert, sag ich mal, diesen Standpunkt von da muss noch mehr Strafe, da muss eine höhere Strafe. Das reicht so noch nicht.

[00:13:04]

Also in unserer Welt ohne Gefängnisse, wenn wir alle mehr gefordert. Ja, davon ist Daniela Hirth zumindest überzeugt. Also wenn wir keine Gefängnisse mehr hätten, dann wäre die Gesellschaft auf jeden Fall in einer sehr großen Verantwortung. In unserer Gesellschaft würde ganz anders aussehen. Der Blick in andere Länder zeigt uns, dass es ja auch Alternativmodell gibt. Ein Land, das schon einen anderen Weg eingeschlagen hat. Da sind wir immer wieder gestoßen bei unseren Recherchen. Das ist Norwegen.

[00:13:30]

Deswegen hab ich unseren ATR von Kollegen für Skandinavien angerufen. Carsten Schmieder Der berichtet ja auch aus Norwegen und ich habe ihn gefragt, was die denn so anders machen.

[00:13:39]

Norwegen hat vor etwa 20 Jahren das ganze System einfach mal auf den Kopf gestellt. Vorher war da auch eigentlich mehr Verwahrung, so wie wir das kennen. Ein bisschen Sozialarbeit. Und dann haben sie das Prinzip einfach umgedreht und haben gesagt Für uns sind Häftlinge genauso Bürger wie alle anderen auch. Mit allen Bürgerrechten bis auf das Recht der Freiheit, dass es ihnen entzogen. Ansonsten behandeln wir sie wie Menschen. Wir behandeln sie sehr human. Wir geben ihnen ganz viele Entwicklungsmöglichkeiten im Gefängnis.

[00:14:04]

Wir geben ihnen auch gute Wohnbedingungen im Gefängnis. Wir sorgen dafür, dass der Abstand zum Personal nicht so riesig groß ist. Wir haben auch viele Frauen bei unserem Gefängnispersonal dabei. Und wir haben ein einziges Ziel, nämlich dass die wieder zurück in die Gesellschaft kommen, nach Absitzen ihrer Strafe und fördern das mit auch sehr viel Geld. Und unter anderem übrigens auch mit einer Ausbildung von Gefängnispersonal, die zwei bis drei Jahre dauert. In anderen Ländern sind es teilweise nur Wochen.

[00:14:31]

Wie ist denn der Rückhalt in der Bevölkerung? Da sind ja wesentlich mehr Straftäter auf freiem Fuß und nicht im Gefängnis.

[00:14:38]

Der einfache Spruch, den man da hört, ist Wir lassen am Ende deine Nachbarn wieder in Freiheit. Das meint einen Menschen, der auch in der Lage ist, dein Nachbar zu sein. Jemand hat mal gesagt, wenn wir Leute in den Gefängnissen wie Tiere behandeln, dann kommen die auch als Tiere wieder raus. Wir entlassen Menschen und das passt ja auch ganz gut zu dem sehr humanistischen Menschenbild hier oben in Skandinavien, auch in Norwegen. Und diese Leute durchlaufen ja einen dreistufigen Prozess, also von Hochsicherheitsgefängnis in ein normales Gefängnis und dann in den immer offeneren Vollzug.

[00:15:09]

Es gibt wenig Vorfälle, die negativ waren, also ist die Akzeptanz in der Bevölkerung sehr groß.

[00:15:14]

Also die haben sowas wie eine Motivationslage. Da kannst du ja nochmal kurz beschreiben. Die müssen natürlich erstmal mit dieser Situation umgehen lernen, dass sie nicht mehr in Freiheit sind. Deshalb sind sie erst in Gefängnissen. Die für norwegische Verhältnisse durchaus strenge Tagesabläufe z.B. haben wir in ganz klar gesagt wird Das machst du, das machst du nicht. Ist dann im Gefängnis, werden sie verlegt, wo schon mehr auf Berufsausbildung und Schulausbildung Wert gelegt wird und in der Endstufe sogenannte Halb Häuser nennen sie das, dann sind sie abends noch im Knast, aber arbeiten schon wieder draußen.

[00:15:44]

Sie werden also Schritt für Schritt resozialisiert.

[00:15:47]

Wenn wir das jetzt in unserem Gedankenexperiment so machen würden wie in Norwegen. Wie muss ich mir das vorstellen? Da steht dann irgendwo mitten in der Stadt ein Haus, in dem Schwerverbrecher wohnen und die könnten dann auch meine Nachbarn sein.

[00:16:00]

Stimmt die Wunde aber nicht alleine. Die werden betreut. Aber sie dürfen alleine raus. Also z.B. zur Arbeit. Müssen sich natürlich abmelden, wenn sie gehen, aber die führenden relativ eigenständiges Leben?

[00:16:10]

Ehrlich gesagt weiß ich nicht, wie entspannt ich da abends dann nach Hause kommen würde.

[00:16:14]

Ja, das wäre in unserem Gedankenexperiment tatsächlich eine Herausforderung für uns, für die Gesellschaft. Momentan ist es ja ganz bequem, das Problem hinter die Gefängnismauern zu verlagern und es gäbe sicherlich mehr Bürgerinitiativen gegen solche Häuser als dafür.

[00:16:27]

Aber Norwegen zeigt ja, dass es funktionieren kann und es gibt solche Versuche ja auch schon in Deutschland. Aber das sind eher Projekte, vor allem für junge Straftäter, die wundern in einer Art Wohngemeinschaft in dem großen Haus zusammen, sondern auch als Familienersatz. Aber die werden am Anfang erstmal sehr engmaschig betreut, dürfen wenig alleine. Und je besser sie sich verhalten, desto mehr Freiheiten kriegen die, die sie aber auch wieder verlieren können. Und im schlimmsten Fall müssen sie auch wieder zurück in die Haftanstalt.

[00:17:01]

In unserem Gedankenexperiment gehen wir ja davon aus, dass es gar keine Gefängnisse mehr gibt. Zugegeben, ein ziemlich radikaler Gedanke und selbst der Gefängnisdirektor am Anfang hat ja gesagt Es gibt Leute, die darf man nicht mehr rauslassen. Was ist eigentlich mit denen in unserem Szenario?

[00:17:15]

Das habe ich Tatjana Vorst gefragt. Sie ist Leiterin der forensisch therapeutischen Ambulanz der Charité Berlin. Ihre Praxis ist quasi auf dem Gelände der JVA Tegel. Da hab ich sie besucht und aus ihrem Büro, da blickt man auch aufs Gefängnis. Da die Gefängniss, Wachtürme und den Zellenblock. Und da arbeitet sie mit den allerschwersten Fällen, mit Mördern, mit mehrfachen Sexualstraftätern oder auch mit denen, die ihre Haftstrafe hinter sich gelassen haben und jetzt versuchen, im normalen Leben wieder Fuß zu fassen.

[00:17:45]

Und Tatjana Vorst glaubt, das geht, wenn die Rahmenbedingungen stimmen. Zum Beispiel geht das dann auch bei Sexualstraftätern bei Klar ist Resozialisierung.

[00:17:54]

Grundsätzlich gibt es Menschen, die sich mit ihrer Straftat auseinandersetzen, die sich verändern in der langen Haftstrafe durch Gesprächspartner, durch strukturierte Angebote, durch Behandlung und die dann hier auch in einen gesicherten sozialen Empfangsraum gehen. Und die haben dann eine Wohnung, die kriegen Job, die finden vielleicht eine Partnerin. Sind die Medikamente, dann sind hier natürlich Resozialisierung. Klar, das ist mein Job. Ich würde sagen, das ist gut so.. Genau. Glauben Sie denn auch, es gibt diesen einen Teil, der nicht Resozialisierung ist, der nicht außerhalb des Gefängnisses leben könnte?

[00:18:31]

Ja, also solche Leute hab ich auch kennengelernt, wo ich gesagt habe, im Moment ist das noch nicht vorstellbar, dass der draußen ist. Der hat noch nicht diese Schritte gemacht. Und da gibt's die überdauernde Gefährlichkeit und er muss einfach drin bleiben. Es gibt auch sicherlich Menschen, wo man sagt, es gibt keine Möglichkeit, draußen zu betreuen.

[00:18:50]

War das eine Erkenntnis, die in Ihnen gewachsen ist, oder?

[00:18:53]

Na ja, das hab ich mir jetzt als junge Ärztin nicht vorgestellt, dass es Leute geben könnte, die so schwer traumatisiert sind und so schwer Persönlichkeits gestört sind, dass die auch noch als ältere Menschen irgendwie eine Gefahr für die Allgemeinheit darstellen. Alt gewordene Pädophile, die noch immer sagen, es war im Einvernehmen, schadet den Kindern nicht. Es macht dir nichts. Die wollen das doch auch wenn das ihre Meinung ist und sie trotz aller Erkenntnisse an dieser Meinung beharren, dann ist es besser, wenn sie drin bleiben.

[00:19:24]

Sind das Momente, wo auch sie mal schlucken müssen?

[00:19:28]

Ja, also da bin ich auch froh, dass es das Gefängnis gibt.

[00:19:31]

Also als Bürgerin und als Mutter von Kindern bin ich dann auch froh, dass die auch da gesichert werden.

[00:19:38]

Also Tatjana V.S. Von der Charité sagt, eine Welt ganz ohne Gefängnisse kann sie sich nicht vorstellen. Aber sie sagt auch ein Großteil der Täter ist resozialisiert.

[00:19:49]

War wegsperren für immer ist. Das ist Stammtisch Mentalität. Sexualstraftäter Weisswein haben ein Risiko von unter zehn Prozent. Und wenn die sich behandeln lassen, dann haben die zu 90 prozent keine Rückfällig keit oder? Dazu braucht es eine gesellschaftliche Diskussion, dass man sagt Okay, also 90 prozent werden nicht rückfällig und die sind dann ungerechtfertigt für den Rest ihres Lebens eingesperrt. Ist das das, was mit unserer Gesellschaft ist? Also da würde ich mir natürlich irgendwie wünschen, dass es eine Versachlichung gäbe und dass man sagt, es gibt Rückfälle und das ist auch schwer und schlimm.

[00:20:26]

Aber das sind 10 prozent, die rückfällig werden durch forensische Nachsorge. Ist das jetzt so? Wir haben eine Rückfällig keit von 7 prozent.

[00:20:33]

Und da reden wir ja auch über schwere Straftaten und schwere Straftaten und Sexualstraftäter. 7 prozent ist 0 prozent. Und wenn die gesellschaftliche Forderung ist, dass man sagt 0 prozent Rückfällig keit und dann werden eben 93 prozent zu Unrecht eingesperrt für den Rest ihres Lebens. Ja, das müsste man dann nochmal diskutieren. Und das sind keine einfachen Lösungen. Eine pädophile Sexualität ist ja auch ein Schicksal und eine Störung. Und das kommt ja auch nicht von ungefähr. Das sind ja auch häufig Leute, die selber missbraucht worden sind, die traumatisiert worden sind.

[00:21:06]

Das ist nicht so schwarz weiß.

[00:21:08]

Ehrlich gesagt habe ich mich gewundert, dass die Rückfallquote so niedrig ist. Das sind die Zahlen aus ihrer Arbeit. Da geht es um Schwerverbrecher. Aber wenn wir auf die Rückfallquote insgesamt gucken, dann sind die deutlich höher. Da sind die Zahlen aber auch ziemlich unterschiedlich, je nachdem, über welches Verbrechen wir dann reden. Und viele Studien, viele Zahlen, die sind ziemlich alt.

[00:21:28]

Wie ist das denn mit der durchschnittlichen Rückfallquote in Deutschland?

[00:21:33]

Laut einer Untersuchung im Auftrag des Bundesjustizministeriums landet jeder Dritte im Laufe von neun Jahren wieder im Gefängnis. Aber auch die Zahlen sind schon ein bisschen älter.

[00:21:49]

Am Ende versuchen wir ja oft, das nochmal schwarzweiß zuzuspitzen, was unser Szenario in der Zukunft bedeuten könnte, dass es diesmal ein bisschen schwieriger, aber ein paar Gedankenanstöße gibt's. In unserem Szenario würde ja die abschreckende Wirkung von Gefängniss wegfallen. Könnte das bedeuten, dass die Zahl der Straftaten steigt?

[00:22:06]

Das ist wenig wahrscheinlich, sagen Experten. Denn wenn Gefängnisstrafen wirklich so eine abschreckende Wirkung hätten, dann wäre die Zahl der Morde in Ländern, in denen es die Todesstrafe z.B. noch gibt, deutlich geringer. Und kein Gefängnis heißt ja nicht keine Strafe. Konsequenzen sind wichtig fürs gesellschaftliche Zusammenleben. Wer sich nicht an die Regeln hält, der muss auch eine Strafe bekommen. Aber die Frage ist Muss das Gefängnisstrafe sein?

[00:22:31]

Nein. Viele Delikte würden eben nicht mehr zu Haftstrafen führen, z.B. mehrfaches Schwarzfahren oder leichte Drogendelikte. Und statt Gefängnis gäbe es dann viel mehr gemeinnützige Arbeit oder die Auflage, eine Therapie zu machen. Und statt Überwachung im Gefängnis könnte es mehr elektronische Fußfesseln und Freigang geben.

[00:22:49]

Könnte auch bedeuten, dass die Opfer mehr in den Mittelpunkt gerückt werden und viel mehr Einfluss hätten, z.B. bei der Frage, wenn es um Entschädigungen geht oder auch wie man Verbrechen wiedergutmachen kann.

[00:23:00]

Und Täter und Täterinnen tauchen dann nicht mehr in der Parallelgesellschaft Gefängnis ab. Ihr Risiko, durchs Gefängnis krimineller zu werden, würde sinken. Sie könnten leichter wieder Teil der Gesellschaft werden, müssen aber auch mehr Eigenverantwortung übernehmen für sich und die Gesellschaft.

[00:23:15]

Dann wären wir alle als Gesellschaft mehr gefordert, weil wir das Problem nicht mehr einfach von uns weg irgendwo hinter Gefängnismauern schieben könnten. Wir müssten uns vielmehr damit auseinandersetzen, wie wir Täter in Zukunft bestrafen wollen. Und wir müssten akzeptieren, dass sie unsere Nachbarn sein könnten, weil es viele Einrichtungen im ganzen Land geben könnte, in denen Straftäter zwar betreut und überwacht werden, aber sie würden auch irgendwie mitten unter uns leben.

[00:23:40]

Und auch für die Justiz, Vollzugs, Beamtinnen und Beamten würde sich die Arbeit ändern. Sie wären eher Fallmanager und würden Straftäter vielmehr im offenen Vollzug betreuen.

[00:23:49]

In dezentralen Einrichtungen ganz ohne Gefängnisse wird es aber nicht gehen. Aber dort würden nur noch wenige Menschen leben. Dadurch spart der Staat viel Geld. Das könnte in Prävention gesteckt werden. Denn Tatjana Voss von der Charité, die sagt Bei vielen Tätern, mit denen sie arbeitet, da wird beim Blick in die Biografie klar, in denen früher geholfen worden wäre, vielleicht schon in der Kindheit, denn hätte ihr Weg in die Kriminalität vielleicht verhindert werden kann.

[00:24:15]

Bitte, wir haben jetzt viel über Haft und Strafen gesprochen. Hat sich deine Einstellung zu Gefängnis eigentlich verändert?

[00:24:21]

Ehrlich gesagt habe ich zum ersten Mal überhaupt darüber nachgedacht, ob es eine Alternative zum Gefängnis geben kann.

[00:24:29]

Man muss das Gegebene ja nicht automatisch hinnehmen. Also mir ging's ähnlich. Wenn ihr Anregungen habt oder Fragen, dann mailt uns doch gerne an.. Mal angenommen.

[00:24:38]

Tagesschau.de: Und wenn ihr uns gerne hört, abonniert uns und empfiehlt uns gerne weiter.

[00:24:44]

Und wie immer gibt's nächsten Donnerstag die nächste Folge. Bis dahin macht's gut. Tschüss.