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Eine gewaltige Explosion reißt 13 Menschen in den Tod. Also wenn ich damals nicht etwas länger vor so einem wilden Karussell stehengeblieben wäre, dann wäre ich möglicherweise nicht mehr am Leben. Mein Name ist duelliert, Marischka. Ich arbeite bei Antenne Bayern in der Nachrichtenredaktion und das Oktoberfestattentat ist auch Teil meiner ganz persönlichen Geschichte rechtsextremer Terror auf der Theresienwiese. Die Bilder von damals bleiben immer in meinem Kopf. Heute, vier Jahrzehnte später, gibt es noch immer unzählige Fragen. Ich bin Christoph Lemmer.

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Ich begleite Gillette durch diesen Podcast und begebe mich auf Spurensuche, denn es wurden Beweise vernichtet und Zeugen ignoriert. Was wussten Geheimdienste und Spitzenpolitiker? Der schwerste Anschlag in der Geschichte der Bundesrepublik 40 Jahre. Ein trauriger Jahrestag. Geheimakten Oktoberfestattentat. Ein Podcast von Antenne Bayern. Episode 1. Freitag, der 26. September 1980. Wie lange ist das schon wieder her? Und trotzdem sehe ich einige Bilder noch ganz genau in meinem Kopf. Meine Eltern haben mir erlaubt, abends mit drei Freunden auf die Wiesen zu gehen.

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Ausnahmsweise war Jungs dabei sind die auf meine Freundin ich aufpassen. Falls uns irgendwelche Betrunkene anpöbeln. Ich muss aber versprechen, pünktlich um halb zwölf zu Hause zu sein. Sein lustiger Abend. Mir fiel Vergäßen natürlich völlig die Zeit schon kurz nach 22 Uhr. Eigentlich müssen wir jetzt zur S-Bahn. Aber die beiden Jungs wollen unbedingt noch ein Überschlage Dings fahren. Ein langer Arm mit einer Gondel dran, die dann in schwindelnder Höhe angehalten wird. Und dann hängt jeder kopfüber und schreiend in der Halterung, während ihm das Kleingeld aus der Tasche in die Tiefe fällt.

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Das ist nix für mich, da schaue ich lieber von unten zu. Außerdem wird es auch langsam Zeit und nicht Drängler. Ein bisschen. Und deshalb spurten wir auch alle sofort los, als die beiden Jungs johlend aus der Gondel taumeln. Viele Menschen stehen vor diesem Fahrgeschäft und ausgerechnet uns, die wir es sichtlich eilig haben, spricht plötzlich ein Mann an. Er will wissen, wie die denn so ist. Diese Schleuder fragt sogar nochmal nach. Obwohl er ja eigentlich weiter wollen.

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Höchstens 10 Sekunden hält er uns auf.

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Zehn Sekunden. Zehn Sekunden, die uns möglicherweise gerettet haben.

[00:02:24]

Hätte es diesen Mann nicht gegeben, hätte er uns nicht gestoppt, hätte er uns weiter rennen lassen.

[00:02:29]

Vermutlich wären meine Freunde und ich zwei Minuten später tot gewesen, denn wir rennen in Richtung Ausgang, sind nur noch wenige Meter entfernt von dem großen grünen Haupttor, das zum Oktoberfest einlädt. Es sind große Holz Säulen, die dicht mit Tannenzweigen geschmückt sind und nur noch dieses Tor liegt zwischen uns und dem Papierkorb, in dem genau in diesem Moment um 22 und 19 die Bombe hochgeht. Ich höre nur einen lauten, dumpfen Knall. Alle Splitter, die in unsere Richtung fliegen, bleiben in diesen Tannenzweigen hängen.

[00:03:11]

Ich bin da nicht einmal großartig erschrocken, eher verwundert. Was passiert hier gerade? Was hier los? Wir gehen ein paar Schritte weiter durch das Tor und stehen plötzlich im Chaos.

[00:03:22]

Überall liegen Menschen wimmernd am Boden. Andere beugen sich über sie und helfen und wieder andere laufen fassungslos herum. Meine Freundin und ich, wir gehen nach rechts weg vom Papierkorb. Dort liegt eine junge Frau mit kurzen, blonden, lockigen Haaren und die sich noch niemand kümmert.

[00:03:38]

Der Knall der Bombe war wohl in ganz München zu hören. Max Josef Strauß, der Sohn des damaligen bayerischen Ministerpräsidenten Franz Josef Strauß, ist an diesem Abend im Elsen Helmut Keller, einem vain lokal in München bei mir.

[00:03:52]

Die allererste Erinnerung geht zurück, daß ich durch welchen Zufall auch immer den Keller in der ersten Heyme Straße, indem wir damals der Versammlung hatten, gefeiert haben. Und das, was ich mich erinnern kann, ist daran, daß ich den Keller verlassen habe, und das ist, daß ich einen lauten Knall gehört habe. Ich habe jetzt mal in Google Maps nachgeschaut, es eins komma sieben Kilometer Luftlinie entfernt vom Tatort. Ja, man hat den. Das war ein richtig durchdringender Knall, den ich zunächst einmal überhaupt ohne jede Erfahrung aus irgendwelchen Kriegen ja überhaupt nicht einordnen konnte.

[00:04:29]

Den Knall im Ohr. Aber ohne eine Ahnung, was da knallte, macht Max Josef Strauß sich auf den Weg zum Flughafen München, damals noch Riem mitten in der Stadt nicht besonders weit zu fahren. Er will seinen Vater abholen. Den neuen Münchner Flughafen, der später sogar nach seinem Vater benannt werden sollte, gibt es noch nicht. Er fährt gemeinsam mit Personenschützern, die den Ministerpräsidenten und seine Familie immer begleiten. Sein Vater, der Ministerpräsident, war auf Wahlkampftour unterwegs und landete mit dem Flugzeug in München.

[00:05:00]

Wird dann sehr schnell über die Begleit Beamten erfahren, dass ihm ein Terroranschlag passiert sein muss. Habe ich dann mit meinem Vater telefoniert und ihn am Flughafen abgeholt und bin mit ihm an den Ort des Geschehens gefahren und deutet ein Bild, das mit schrillten immer noch in meinem Ich. Ich habe die direkten Opfer nicht mehr gesehen, die waren alle schon schon weg. Mein Vater war auf einer Kundgebung irgendwo in Deutschland und kommen im Flugzeug an. Und das heißt, wir waren dort.

[00:05:36]

Bei uns war das bestimmt. Es waren drei, vier Stunden später als willkommener. Mit Schrecken erinnere ich mich, dass ich auf den Boden geschaut habe und alles bedeckt war mit Blut, mit getrockneten Blut. Es war noch. Ich hatte diese rötliche Farbe, die getrocknetes Blut. Ein paar Stunden nach Eintrocknen hatte. Und das ist ein Bild, das mir heute noch in schrecklicher, schrecklicher Erinnerung ist.

[00:06:00]

Das Blut, das die beiden sahen, gehörte den vielen Opfern. Der Anschlag forderte 13 Todesopfer. 221 Menschen wurden verletzt, unter ihnen auch die blonde junge Frau, um die sich Stiletto und ihre Freundin kümmerten.

[00:06:14]

Gitti heißt sie, sagt sie uns. Ihr Unterschenkel blutet ziemlich stark. Und wir reden auf Citi ein, um sie zu beruhigen. Wo tut es denn weh? Keine Angst. Es sind ja, da kommt auch sicher gleich jemand. Lauter so Zeugs, das mal was sagt. Meine Freundin hält Kittys Kopf. Ich kümmere mich um das verletzte Bein. In alten Western Filmen hab ich mal gesehen, dass man blutende Arme oder Beine fest mit einem Gürtel anbindet. Ich weiß jetzt nicht mehr, wo ich den Gürtel her hab.

[00:06:40]

Ist es meiner oder der meiner Freundin? Jedenfalls lege ich ihnen um das Bein und ziehe fest zu. Später. Als ich meinen Führerschein mache, lerne ich im Erste-Hilfe-Kurs, dass man Arterien besser abdrücken sollte. Ich hab heute noch ein schlechtes Gewissen und hoffe, dass ich damals nichts angerichtet habe. Genau diese Szene wird damals zufällig von einem Fotografen festgehalten. Das Foto, auf dem Juilliard neben der verletzten jungen Frau kniet und ihr hilft, sollte genau 34 Jahre später wieder auftauchen.

[00:07:10]

Auf dem Cover eines Buches des Autors Ulrich Chaussy Schuldgeld Marischka hat mich eines Tages angerufen.

[00:07:17]

Ich kannte sie nicht und hat gesagt Ich bin das Mädchen, das auf dem Titelbild ihres Buches zu sehen ist. Sie ist da bei einer Verletzten unmittelbar nach der Detonation. Das sind die Aufnahmen des Fotografen Oswald Baumeister, der an diesem Abend zufällig eine neue Kamera und neues Filmmaterial ausprobierte. Und dieses Foto hat sie auch deswegen zu mir geführt, weil sie zuvor eine Dokumentation im Fernsehen gesehen hat, die ich mit Daniel Harich zusammen produziert habe.

[00:07:59]

Denn auch der Journalist Chaussy beschäftigt sich seit Jahren mit den Hintergründen des Oktoberfestattentat. Denn bis heute ist nicht aufgeklärt, wer an diesem Anschlag beteiligt war und was dahinter steckte.

[00:08:12]

Während wir bei Gitti knien, schaue ich mich um. Vier, fünf Meter von uns entfernt liegt ein zerfetzter Körper. Eigentlich ist es nur noch ein Rumpf mit einem Bein. Das andere Bein und die Arme sind abgerissen. Der Kopf lässt sich nur erahnen. Auch Kleidung erkenne ich keine mehr. Nur noch einen schwarzen Slip. Ich erschrecke für mich selbst, wie kalt mich dieses Bild lässt. Aber es passt einfach zu der ganzen Situation, zu diesem schrecklichen Film, in dem ich gerade mitspielen.

[00:08:39]

Später erfahre ich, dass es Gundolf Köhler war, der Attentäter, der da nackt und zerfetzt vor mir im Dreck lag. Seinen Namen höre ich zum ersten Mal auf einer Pressekonferenz am nächsten Tag von bundeseigene Anwalt Trettmann.

[00:08:51]

Nach den bisherigen Ermittlungen kommt als Täter der 21 jährige Theologiestudent Gundolf Köhler aus Donaueschingen in Betracht. Er kam bei dem Attentat ums Leben. Seine Verletzungen nämlich wurden beide Arme abgerissen. Er hat erhebliche Verletzungen im Brust und im Bauchbereich. Er hat das Haupthaar lassen, darauf schließen, dass er sich bei der Explosion der Bombe in deren unmittelbarer Nähe befunden hat. Wir gehen davon aus, dass die Bombe zu früh gezündet worden ist. Anhaltspunkte dafür, dass Köhler Selbstmord begehen wollte oder begangen hat, liegen nicht vor.

[00:09:41]

Wir nehmen nicht an, beim gegenwärtigen Stand der Ermittlungen, dass Köhler als allein Täter gehandelt hat.

[00:09:52]

Gemessen an dem, was später in einem ersten Ermittlungsverfahren und viele Jahre später nach noch einmal akribischen Ermittlungen herauskam, lag der damalige Generalbundesanwalt Kurt Rebmann unmittelbar nach der Tat fast schon erschreckend richtig. Denn viel mehr als die Fundstücke vom Tatort und erste Tipps von hier und da hatten die Ermittler zu diesem Zeitpunkt noch nicht, was man sehr schnell herausfand. Köhler war Rechtsextremist.

[00:10:20]

Er hatte Kontakt zur Wehrsportgruppe Hoffmann und deren Chef Karl-Heinz Hoffmann. Orin. Werden wir später noch befragen. Denn das ist mehr oder weniger der Stand bis heute. Ein Gerichtsverfahren wegen des Anschlags gab es nie. Niemand wurde dafür verurteilt. Trotz aller Mühen. Wer baute die Bombe? War das wirklich Köhler selbst? Woher hatte er dann die Chemikalien? Was für einen Zünder verwendete er dazu? Weiß auch heute, 40 Jahre später, niemand etwas Handfestes.

[00:10:51]

Irgendwann kommen Sanitäter und übernehmen sie, kümmern sich um >. Und tragen sie fort. Plötzlich steh ich alleine da. Meine Freundin ist verschwunden und die beiden Jungs hab ich seit dem Knall auch nicht mehr gesehen. Ich gehe über den Platz. Inzwischen hat die Polizei diesen ganzen Wisen Eingang rundherum mit einem rot weißen Plastikplane abgesperrt. Außen stehen Schaulustige und beobachten, was in dem Kreis alles passiert. Und ich bin ihnen.

[00:11:18]

Die Polizei, die den Tatort absperrt, war sehr nervös an diesem Abend. Verständlicherweise fiel der Anschlag doch in eine politisch spannende Zeit. Wenige Tage später stand eine Bundestagswahl an. Die Oktoberfest Bombe explodierte mitten in der heißen Schlussphase des Wahlkampfs. Helmut Schmidt gegen Franz Josef Strauß. Schmidt von der SPD war Kanzler Strauß. Der bayerische Ministerpräsident wollte ihn ablösen. Das Motto des CSU-Politikers Freiheit statt Sozialismus. Das Klima war aufgeheizt. Das Attentat, die Oktoberfest, Bombe und damit die innere Sicherheit war sofort auch Streitthema im Wahlkampf.

[00:12:04]

Auf der einen Seite Franz Josef Strauß, teils gegen Helmut Schmidt und seinen Innenminister aus.

[00:12:11]

Meine sehr verehrten Damen und Herren, es ist auch bezeichnend, daß Bundeskanzler Schmidt nicht in der Lage ist, diesen Innenminister loszuwerden. Er hatte so viel Schwierigkeiten mit der eigenen Partei, und er weiß nicht, ob er abwechselnd wie schnell, ob von links nach rechts und von rechts nach links und gelegentlich über die Mitte wieder seine Position wechseln soll, um die zusammenzuhalten. Mit der Koalitionspartner FDP wieder dann überhaupt nicht mehr fertig. Wenn man Schmidt wirklich ein Mann wäre, der entscheiden kann, OnePlus über Krieg oder Frieden falsche Alternativen aufstellen und alle und alle Verantwortlichen der Welt mit seinen nicht gefragten Ratschlägen überziehen will.

[00:12:49]

Er soll zu Hause einmal die Entscheidungen treffen und die erste und wichtigste Entscheidung wäre, diesen Innenminister zum Teufel zu hauen.

[00:12:56]

Auf der anderen Seite Helmut Schmidt. Der Kanzler kalt gegen Strauß zurück.

[00:13:01]

Zu Beginn der heutigen Veranstaltung ist mit Recht der Toten und der Opfer in München gedacht worden und der Verletzten, die im Krankenhaus um ihr Leben ringen, unter Angehörigen. Gleichzeitig hat, ehe noch die Trauerfeier stattgefunden haben, gestern der bayerische Ministerpräsident in der Zeitung Bild am Sonntag dazu ein Interview gegeben. Dort wird er gefragt nach den Umständen dieses Verbrechens. Und dann antwortet Herr Strauß Der Bundesinnenminister hat schwere Schuld auf sich geladen durch ständige Verunsicherung und Demoralisierung der Sicherheitsdienste. Daß ausgerechnet derjenige, der wenige Tage zuvor, weil ihnen nicht passte, das in München auf dem Marienplatz Plakate aufgestellt waren, die ihn angriffen, der dort einen Polizeibeamten zur Sau gemacht hat, der dann innerhalb weniger Minuten abgelöst wurde als Polizei und Einsatzleiter.

[00:14:13]

Ausgerechnet der redet von Verunsicherung der Polizei. Ausgerechnet der Ministerpräsident des Freistaats Bayern, dessen Landesregierung sich zwei Jahre lang gewehrt hat, die Wehrsportgruppe Hoffmann zu verbieten. Der Bundesinnenminister schließlich hatte Anfang dieses Jahres dieses Verbot ausgesprochen. Überraschend schnell wurden die Ermittlungen eingestellt und auch der Bundesanwalt änderte seine Einschätzung. Am Anfang hatte er gesagt, die Bombe legte Gundolf Köhler, aber er sei kein Einzeltäter gewesen. Da habe es Hintermänner gegeben. Das war am Anfang. Dann aber hieß es Da waren keine Hintermänner.

[00:14:54]

Gundolf Köhler habe alles allein gemacht, den Plan geschmiedet, die Bombe gebaut, den Anschlag verübt, sich selbst versehentlich mit in die Luft gesprengt. Zufällig eine Woche vor der Bundestagswahl. Das wollten viele nicht glauben.

[00:15:09]

Einer von ihnen, der Münchner Rechtsanwalt Werner Dietrich Dietrich, ist die Hauptfigur in dem Krimi, der nach dem Anschlag begann und in dem es um Pannen und Skandale bei den Ermittlungen geht und der im Grunde bis heute nicht beendet ist.

[00:15:24]

Richtig befasst damit habe ich mich seit Oktober 1982, als zwei Mandate zu mir in die Kanzlei kam. Es waren zwei Geschädigte, Frau Martinez und die Familie Platzer, die zwei Kinder verloren hatte. Die hatten gehört, dass die Bundesanwaltschaft die Ermittlungen einstellen wollte und dass die Bayern schon im Mai 81 das bayerische LKA nicht mehr weiter ermittelt hatte, weil sie sagten Gundolf Köhler war Einzeltäter und der hieß Tod. Und das war dem die Sache zu Ende. Mit diesem billigen und wie sie es empfunden haben makabren Ergebnis wollen sie sich, wollten sie sich nicht abfinden.

[00:16:05]

Und seit der Zeit, also seit 38 Jahren, bin ich an dem Fall dran, mit allen Höhen und Tiefen und mal intensiver, mal weniger. Aber der war nie bei mir beendet. Oder er hat mich auch mein Leben beim Berufsleben nicht losgelassen.

[00:16:22]

Der Anwalt recherchierte. Eine Bombe war explodiert. Vor der Münchner erwiesen. Um 22 Uhr 19 am Wochenende, als es Knall voll war, als Tausende von der Theresienwiese Richtung Bahn strömten. Eine Woche vor der Bundestagswahl, also genau da explodierte die Bombe. Das soll Zufall gewesen sein? Es scheint, als verstehe man immer weniger. Je mehr Zeit danach vergeht, je mehr die Ermittler ermitteln und Journalisten recherchieren.

[00:16:53]

Irgendwas haut da nicht hin. Dachte sich Rechtsanwalt Dietrich. Und denkt er sich bis heute?

[00:16:59]

Ja, ich hatte am Anfang schon mal den Verdacht, wo ich mich gefragt hab Wie kann es bei so einer Tat mit 13 Toten und 200 21 Verletzten sind es ja inzwischen passieren, dass bereits nach acht Monaten die Ermittlungen praktisch zum Erliegen kommen, ohne dass man irgendetwas rausbekommen hat. Und sogar mit der expliziten These, wie es das LKA in Bayern genannt hat, Gundolf Köhler sei es gewesen, und zwar alleine, hätte er die Tat alleine geplant, die Bombe gebaut, nach München gefahren und dann sei beim Legen der Bombe etwas schief gelaufen.

[00:17:37]

Das Motiv war privat individuell, nämlich wie es immer bei Rechten ist, Probleme mit Frauen und Mädchen. Und bei ihm kam noch hinzu angeblich ein negativer Bescheid der Universität Tübingen, dass er ein Seminar nicht bestanden hat. Das soll der Auslöser gewesen sein, die schon vorher präparierte und fertiggestellte Bombe zu packen, ins Auto von Donaueschingen nach München zu fahren und die Bombe dann in München zu legen. Allein von diesem Szenario her kam mir das äußerst verdächtig vor. Hab ich das nicht geglaubt?

[00:18:17]

Der Anwalt besorgt sich die Akten.

[00:18:19]

Sein Augenmerk liegt auf dem Attentäter und der Bombe, die der Student aus Donaueschingen in Eigeninitiative gebaut haben soll, wo er beispielsweise den Zünder her hatte oder wo er die englische Mörsergranaten Baujahr 1955 her hatte, weiß man im Detail nicht. Man weiß nur, dass er sie gehabt hat und dass er in der Lage war, sie zu bauen. Und die Bombe war ja ummantelt mit einem Feuerlöscher. Und zwischen Bomben, Aussenseite und Feuerlöscher waren ja noch Metall, Splitter und dergleichen, damit eine möglichst große, verheerende Wirkung erzielt werden konnte, die sich noch verstärkt hat dadurch, dass er die Bombe in einem Metall Abfalleimer getan hat, sodass diese Metallteile eben noch dazukam.

[00:19:09]

Ein Tipp führte die Ermittler damals zu einem Neonazi namens Heinz Lembke. Der hortete Sprengstoff. Die Polizei durchsuchte sein Haus in der Lüneburger Heide in Niedersachsen, fand aber nur ein leeres Gewehr Magazin und eine Zündschnur. Dann aber stieß ein Waldarbeiter aus Ölziehen auf eine vergrabene Kiste. Er holte die Polizei, die entdeckte noch viele weitere Kisten mit. Waffen, Munition und tonnenweise Sprengstoff. Wie sich herausstellte, gehörten sie Lembke Land gestellt in Aussicht. Gegenüber der Bundesanwaltschaft umfassend auszusagen. Am ersten November 1981, einen Tag vor seiner Vernehmung durch einen Staatsanwalt, wurde er jedoch mit einem Kabel erhängt in seiner Gefängniszelle aufgefunden.

[00:19:57]

Er hatte einen handschriftlichen Abschiedsbrief hinterlassen mit dem Vermerk Es ist Wolfs Zeit. Ein Ausdruck der rechtsradikalen Szene für die Stunde Null. Die Ermittlungen wurden eingestellt und in den Akten zum Oktoberfestattentat steht der Vermerk Erkenntnisse über Lembke sind nur zum Teil gerichts verwertbar. Solche Vermerke kommen normalerweise nur bei V-Leuten oder Mitarbeitern von Geheimdiensten vor.

[00:20:25]

Damals war es für mich natürlich zunächst mal nicht plausibel, dass ein Geologie der Student eine relativ kompliziert zu bauende Bombe allein in seinem Keller zuhause ohne fremde Hilfe gebaut haben kann. Heute wissen wir aus den jetzt aufgenommenen Ermittlungen, dass er durchaus mit Bekannten im Ausland war, insbesondere in der Schweiz, um sich dort Sprengstoff zu besorgen, auch Anleitungen zum Bombenbau. Und wir wissen auch das wussten wir damals auch nicht, dass z.B. ein Bruder von ihm, der Chemiker ist, ihn sozusagen eingeführt hat in die Grundkenntnisse der Chemie.

[00:21:15]

Ich sage nicht, dass der Bruder Mittäter bei der Tat war, aber er hat Köhler Kenntnisse beigebracht, die dazu geführt haben können, dass er die Bombe allein gebaut hat. Davon geht inzwischen auch die Bundesanwaltschaft aus. Dass diese durchaus komplizierte Bombe von Köhler mit diesen Vorkenntnissen und mit den Ingredienzien, die er da im Keller bei sich hatte, gebaut werden konnte.

[00:21:45]

Aber warum? Warum soll er das getan haben?

[00:21:49]

Es war ja nicht so wie bei sonstigen terroristischen Taten, dass sich das gegen eine bestimmte Gesellschaftsgruppe oder Bevölkerungsgruppe richtet, also Ausländer oder Linke oder so.. Wir haben hier nicht dieses, was man normalerweise Opfer Identität nennt, sondern das war eine die Wahllosigkeit oder die Masse der Opfer. Die sollte es in diesem Fall bringen, sollte die Leute dazu bringen, die Verhältnisse hier abzulehnen und eine eine Bereitschaft zu einer autoritären politischen Lösung. Das war das Ziel, was insgesamt auch bei den europäischen Rechten damals diskutiert wurde in Italien, in Frankreich, auch in Belgien.

[00:22:32]

Und dass ein Teil dieser Rechten wollte das eben mit solchen terroristischen Attentaten, sozusagen die Bereitschaft in der Bevölkerung, sich zu öffnen für solchen gewaltsamen Umsturz herbeibomben.

[00:22:45]

Das, das war das Ziel von Gundolf Köhler, die Stimmung zum Umsturz herbeibomben, sagt Anwalt Dietrich. Ein politischer Zusammenhang, ein politisches Motiv, so kann man das wohl sehen. Und damit liegt dann auch nahe, dass Köhler eben nicht allein handelte, sondern dass da jemand mitmischte. Wer auch immer.

[00:23:06]

Ich hatte neben dem juristischen Interesse auch ein zeitgeschichtliches Interesse, weil ich auch Politologe und Historiker bin und deswegen mich das auch interessiert hat und ich auch gleich den Zugang hatte und gesehen habe. Das ist ja zehn Tage vor der Bundestagswahl. Schmidt Gegen Strauß, Freiheit gegen Sozialismus passiert und ich sowieso nicht geglaubt habe, dass Köhler das allein gemacht hat und gewesen ist und auch nicht, dass er privat individuelle Motive hatte. Das war damals durchaus üblich bei den gewaltbereiten europäischen Rechtsradikalen, dass die Attentate mit Breitenwirkung, also mit vielen Toten, begangen haben.

[00:23:49]

Sechs Wochen vor dem Münchner Attentat war ja das in Bologna gewesen, mit über 80 Toten. Und das habe ich in dieser Konstellation eben auch gesehen. In unserem abgesperrten Bereich vor dem Haupteingang haben sich lauter kleine Menschen Inseln gebildet, Sanitäter und andere Wisen, Besucher, die wie ich zufällig mitten im Alptraum gelandet sind und sich jetzt um die Opfer am Boden kümmern. Ich gehe herum und schaue, ob ich noch irgendwo helfen kann, aber da scheint irgendwie jeder versagt zu sein.

[00:24:19]

Plötzlich trete ich auf etwas Weiches. Ich kann es heute noch unter meinem Fuß spüren, wenn ich dran denke.

[00:24:27]

Damals in den 80ern trägt man als Jugendlicher ja noch keine Tracht. Wenn man auf die Wiesen geht. Ich habe Jeans an eine weite blaue Jacke mit dicken Schulterpolster. Und Kollege Schuhe, das sind dunkelblaue, flache, bequeme Schuhe mit glatter Sohle. Und mit dieser glatten Sohle rutschig auf irgendetwas Weichem, Glitschigen aus. Ich schaue runter und sehe auf dem Kopfsteinpflaster einen kleinen Fetzen Fleisch mit einem Finger dran. Auch das löst bei mir erstaunlicherweise keine großen Emotionen aus. Noch nicht mal Ekel.

[00:24:56]

Fleisch, Stückchen und zerfetzte Körper haben halt keine Schmerzen mehr. Es sind nur noch abstrakte Dinge.

[00:25:03]

Die Sache mit dem abgetrennten Finger zieht Kreise. Allerdings erst viel später, 2014, als Judith das Foto mit sich auf dem Buchtitel sieht und sich bei dem Autor Ulrich Chaussy meldet.

[00:25:16]

Und das hat die Julliard Marischka sehr umgetrieben.

[00:25:23]

Weil sie nämlich, als sie ihre Hilfeleistung an der Verletzten hier, als sie damit fertig war, die von den Sanitätern weggebracht war, ging sie noch ein bißchen umeinander und hat einen Finger, einen einzelnen Finger Teil völlig zerfetzt gefunden.

[00:25:47]

Für den Journalisten Chaussy eine spannende Information. Am Tatort war nämlich eine Hand gefunden worden. Es gab Zeugenaussagen und Obduktionsbericht, wie Attentäter Köhler die Bombe gehalten haben musste. Demnach konnte es nicht die Hand des Attentäters sein. Seine Hände mussten durch die Detonation vollständig zerstört sein. Doch wem gehörte dann diese Hand? Womöglich einem zweiten Mann, der sich kurz vor dem Attentat mit Köhler gestritten hatte und zusammen mit ihm am Tatort gesehen wurde? Jahre später gab es nun die Möglichkeit, dies auch zu beweisen.

[00:26:22]

Ob Hand und Finger zu Köhler gehörten oder ob auch vor Ort Helfer und Mittäter waren.

[00:26:28]

So ging das ganz los.

[00:26:30]

Eigentlich in einer späteren Phase meiner meiner Recherchen nach dem Buch von 1980 in meinen vielen Rundfunk Berichten habe ich im Jahr 2006 an die damalige Generalbundesanwalt geschrieben und habe gesagt Liebe Frau Harms, bitte untersuchen Sie doch nochmal diese Hand.

[00:26:54]

Und wenn es tatsächlich stimmt, dass diese Hand Zero logisch nicht zu Köhler passt, kann es keine Einzeltat gewesen sein. Wenn sich die damals geirrt haben.

[00:27:08]

Ja, dann vielleicht doch. Aber man kann ja heute mit der DNA einen viel genaueren Abgleich machen, zu wem dieses Körperteil passt.

[00:27:18]

Naja, ein paar Wochen später kam dann der Brief von der Bundesanwaltschaft. Diese ganzen Reservate gibt's nicht mehr.

[00:27:32]

Es wird also nie geklärt werden, wem diese Hand gehörte. Jahre später meldete sich eine Krankenschwester aus Hannover als Zeugin. Ihr Sohn hatte den Spielfilm Der blinde Fleck im Fernsehen gesehen. Ein Film über das Oktoberfestattentat von Ulrich Chaussy. Sie erinnerte sich an einen Mann, der damals bei ihr in Hannover in der Klinik gewesen sei. Unweit des Waffenhändler aus Niedersachsen.

[00:27:57]

Dem Patienten habe eine Hand gefehlt, und jetzt habe sie durch den Film mitbekommen, dass eine Hand am Tatort gefunden wurde.

[00:28:05]

Die Zeugin wörtlich Er hatte ein Strahlen im Gesicht. Ich war völlig irritiert.

[00:28:11]

Er hat nicht viel geredet und noch nicht erzählt, was ihm passiert war. Zudem seien seltsame Männer zu Besuch in die Klinik gekommen und der Mann ohne Hand sei irgendwann plötzlich verschwunden, bevor seine Behandlung abgeschlossen war. Die Bundesanwaltschaft ging dem Hinweis nach, ebenfalls ohne Ergebnis.

[00:28:33]

Die Hand war nicht das einzige Beweisstück, das den Ermittlern abhanden kam. Hat sich da jemand bemüht, Spuren zu verwischen? Jemand, der mächtig genug war und dazu in der Lage? Jemand, der nicht wollte, dass die Hintergründe aufgeklärt werden. Jemand, der nicht wollte, dass Hintermänner Köhlers gefunden werden? Und was hat Karl-Heinz Hoffmann, der Gründer der Wehrsportgruppe Hoffmann, mit dem Attentat zu tun?

[00:29:01]

Jeder wusste doch, dass mir die Demokratie sozusagen am Arsch vorbeigeht.

[00:29:06]

Das alles in Episode 2 Geheime Akte Oktoberfestattentat Ein Podcast von Antenne Bayern jetzt abonnieren und anhören auf Antenne D und überall, wo es Podcasts gibt.